Gemeinde Teutschenthal

Ein Megalithgrab bei Köchstedt?

Am Rande des Teutschenthaler Ortsteils Köchstedt erhebt sich auf einem sanften Hügel ein archaisch wirkendes Monument (Abb. 1). Seine aus dunkelbraunen Steinblöcken errichtete gedrungene Gestalt vermittelt den Eindruck eines prähistorischen Megalithgrabes. Der durch flankierende Stelen sowie eine breite Freitreppe hervorgerufene repräsentative Charakter erinnert wiederum an eine Denkmalanlage. Doch wann und zu welchem Zweck wurde das Bauwerk errichtet? In der regionalen Literatur findet es keinerlei Erwähnung. Selbst das Denkmalverzeichnis des Saalkreises lässt die Köchstedter Anlage völlig außer Acht. Sogar bei den Einheimischen ist deren Bedeutung inzwischen längst in Vergessenheit geraten. Manche bezeichnen es als Hünengrab, andere wiederum sehen darin eine Gedenkstätte der Nationalsozialisten.

Tatsächlich handelt es sich aber bei dieser rätselhaften Anlage um ein Kriegerdenkmal, welches zum Gedenken an die aus Köchstedt stammenden Gefallenen des Ersten Weltkrieges gedacht war. Neben einigen kleinen Findlingen und Feldsteinen ist das Denkmal vor allem aus sechs massiven Blöcken und Platten aus heimischem Braunkohlenquarzit errichtet. Diese wurden 1925 auf einem Acker nördlich der Köchstedter Ortslage ausgepflügt und gehörten ursprünglich wohl zu einem prähistorischen Grabbau. Wie die Aufzeichnungen im Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie in Halle verraten, war der schwedische Archäologe Dr. Nils Niklasson nach erfolgter Fundmeldung mit der Inspektion des Befunds beauftragt worden. Bei seinem Eintreffen am Fundort waren die Steinplatten bereits an den Feldrand geräumt, so dass er nur noch anhand der Grube und der Schilderungen des Pflugführers eine ursprüngliche Ost-West verlaufende Ausrichtung der Anlage ausmachen konnte. Besonders auffallend war deren exponierte Lage am Rand des dortigen Höhenplateaus, hoch über dem Würdebach. Skelettreste und Beigaben kamen an der Fundstelle nicht zum Vorschein, so dass man anfänglich nicht von einem Bestattungshintergrund ausging. Später wurde der archäologische Befund jedoch als Scheingrab eines „fern der Heimat gefallenen germanischen Helden“ gedeutet, für welchen man stellvertretend einen vergänglichen organischen Stoff niedergelegt hätte.

Neuere Untersuchungen sehen im Befund durchaus eine Begräbnisstätte. Aus den vier Tragsteinen, von denen jeweils immer zwei annähernd gleiche Maße aufweisen, konnte ursprünglich eine beengte Steinkiste konstruiert gewesen sein, die zur Aufnahme einer Körperbestattung in extremer Hockerlage diente. Überdeckt war diese durch zwei massive überkragende Blöcke (Abb. 2). Die fehlenden menschlichen Überreste und Grabbeigaben können mit sekundären Einflüssen – wie Tierfraß, Bodenmilieu oder Beraubung – in Verbindung stehen. Auch kulturelle Hintergründe mit einem beigabenarmen oder gar beigabenlosen Bestattungskontext kommen in Frage. Eine Deutung als Kenotaph bzw. Leer- oder Scheingrab ist zwar nicht gänzlich auszuschließen, scheint aber in diesem Zusammenhang fraglich. Ob es sich dabei um ein Flachgrab handelte oder die Bestattung durch eine Hügelaufschüttung oberirdisch gekennzeichnet war, muss auf Grund fehlender Indikatoren und infolge der langwierigen intensiven landwirtschaftlichen Nutzung des Fundgeländes offenbleiben.

Charakteristika wie Lage, Ausrichtung und Art des Steinkistengrabes geben Anlass, einen Entstehungszeitraum vom Mittel- bis zum Endneolithikum, also vom 4. bis zum Ende des 3. Jahrtausends v. Chr. anzunehmen. Aufgrund der megalithisch wirkenden massiven Deckblöcke und in Anbetracht einer Bestattung nach vermutlichem Baalberger Ritus, welche 1934 in einer Sandgrude unweit nördlich der Fundstelle entdeckt wurde, ist das Steinkistengrab tendenziell der Baalberger Kultur (4000–3400 v. Chr.) zu zuordnen. Entsprechende Funde aus der angrenzenden Gemarkung von Wansleben am See, am dortigen „Windmühlenberg“, nur ca. 5 Kilometer westlich der Fundstelle entfernt, bezeugen die Anwesenheit dieser Kulturgruppe in der Gegend und stützen die Annahme. Weitere Grabfunde geben zudem Hinweise darauf, dass die Hochfläche nördlich von Köchstedt in vorgeschichtlicher Zeit allgemein als Bestattungsplatz diente.

Mit der Intention, den im Ersten Weltkrieg gefallenen Köchstedtern ein Denkmal zu widmen, wurde das Steingrab 1934 nach damaligen Vorstellungen aus den Originalbestandteilen wiederaufgebaut. Wahrscheinlich zur monumentalen und repräsentativeren Demonstration wurde die Anlage dabei ebenerdig und ca. 1,1 Kilometer südwestlich der Fundstelle am Köchstedter Ortsrand, direkt neben einer Straßengabelung, errichtet. Der Wiederaufbau erweckt heute somit den Eindruck einer Megalithgrabanlage, die wiederum der Form eines sogenannten erweiterten Dolmens ähnelt. Die Rekonstruktion sind neben Repräsentationsansprüchen vorwiegend den Angaben des Fundberichts sowie der dazugehörigen Befundskizze geschuldet (Abb. 3). Es ist davon auszugehen, dass die darin enthaltenen Beschreibungen und Darstellungen infolge des massiven Bodeneingriffs durch den Pflug verfälscht wurden.

Der freie Wiederaufbau der Grabanlage wurde zu einem Heldendenkmal verklärt. Ohne wissenschaftliche Grundlagen und im Sinne einer nationalsozialistischen Ideologie wurde hier eine pseudokontinuierliche Ahnenreihe von den vermeintlich tugendhaften germanischen Vorfahren bis in die Gegenwart konstruiert.

Die Errichtung eines Kriegerdenkmals in Hünengrabarchitektur ist für die Köchstedter Region wohl einzigartig. In den nördlicheren Landesteilen Sachsen-Anhalts ist diese Bauweise allerdings, auf Grund der dortigen Megalithgrab-Tradition, häufiger anzutreffen.

Trotz der fehlenden Authentizität und seiner verklärten Umdeutung als völkisches Heldenmonument ist das Köchstedter Steingrab bzw. Kriegerdenkmal heute ein wichtiges Zeugnis für die Instrumentalisierung der Erinnerungskultur sowie die Veränderung innerhalb der deutschen Archäologie im 20. Jahrhundert. Bedenkt man darüber hinaus, dass 1925 beim Abtransport der mächtigen Steinblöcke zwei Dampfmaschinen unter mehrmaligem Zerreißen der Stahlseile vonnöten waren, ist es gleichzeitig ein Beleg für das Potenzial der neolithischen Bevölkerung in der Region.

 

Mike Leske M.A.

(Stand: 21. Mai 2017)

 

Literatur:

Mike Leske, Ein Megalithgrab bei Köchstedt? Neu-Interpretation des Befundes und seine ideologische Verklärung (Teutschenthal 2014).

Abb. 2 Rekonstruktionsversuch des Steinkistengrabes von Köchstedt. Skizze nach M. Leske
Abb. 2: Rekonstruktionsversuch des Steinkistengrabes von Köchstedt. Skizze nach M. Leske
Abb. 3 Befundskizze von 1925
Abb. 3: Befundskizze von 1925. Abbildung: LDA Sachsen-Anhalt, Archiv
Abb 4 Zeichnung der Neuanlage von 1934
Abb. 4: Entwurfszeichnung der Denkmalsanlage von 1934. Abbildung: LDA Sachsen-Anhalt, Archiv