Erst 900 Jahre Eisdorf? - Die schwierige Suche nach der historischen Grundlage des Ortsjubiläums
Im Gegensatz zur Geburt eines Menschen sind Ortsjubiläen nur sehr selten auf ein genaues Jahr, geschweige denn auf ein konkretes Datum festzulegen. Daher werden solche „Geburtstage“ in der Regel mit einer vermeintlichen Ersterwähnung in den schriftlichen Quellen gleichgesetzt. Diese wiederum stellt keine Gründungsurkunde dar. Meist handelt es sich um die Besitzaufzählung oder -bestätigung eines Grundherrn, welche die Existenz des Ortes bereits voraussetzt. Oft sind diese Siedlungen wesentlich älter, als es die Urkunden belegen können.
Der eigentlich bereits für 2021 angedachte „900. Geburtstag“ Eisdorfs folgt der gängigen Forschungsmeinung und sieht die Ersterwähnung des Ortes in einem Güterverzeichnis des westlich von Eisleben gelegenen St.-Cyriakus-Klosters in Wimmelburg (Landkreis Mansfeld-Südharz). Die Benediktinerabtei war vermutlich 1062/63 aus einer Burg der sächsischen Pfalzgrafen hervorgegangen. Urkundlich beglaubigt, gestattete der Halberstädter Bischof Reginhard (Reinhard) dem Abt Milo am 10. August 1121 die Verlegung des Klosters Wimodeburch (Wimmelburg) von dem Ort, wo es ursprünglich gegründet war, nach einer „gesunderen und gesicherten Stelle“ und verlieh ihm mehrere Besitzungen und Privilegien (Abb. 1). Die in Latein verfasste Auflistung nennt u.a. „in Hisdorph IIII mansi“ (Abb. 2). Hisdorph wird dabei von der Forschung als „Urnamensform“ für Eisdorf gedeutet. Den Wimmelburger Mönchen standen demzufolge Einnahmen aus vier Hufen[1] im Ort zu. Außer der Namensnennung und der Festlegung der Abgabenpflicht erlaubt die Quelle keine weiteren Einblicke in die Siedlungsstrukturen. Berechtigterweise stellt sich daher die Frage, auf welcher Grundlage die Erwähnung im Güterverzeichnis des Benediktinerklosters Wimmelburg mit Eisdorf im heutigen Saalekreis gleichgesetzt wurde? Das Hauptargument der Geschichts- und Heimatforschung für diese Deutung lag sicherlich in erster Linie an der Ähnlichkeit des Namens mit dem im selben Schriftzeugnis genannten Hislebo. Nicht zuletzt in Anbetracht der zuvor und danach aufgeführten Nennungen stellt dieses Toponym zweifellos eine mittelalterliche Variante für Eisleben (Ldkr. Mansfeld-Südharz) dar. Da beide Ortsnamen mit dem Bestimmungswort „His“ beginnen, übertrug man die für Eisleben getroffene Feststellung analog auf Eisdorf. Doch ist diese Schlussfolgerung auch in der Gesamtbetrachtung des Güterverzeichnisses haltbar? Bei der Wimmelburger Urkunde handelt es sich um eine Besitzbestätigung, d.h. Bischof Reinhard (gest. 1123) erneuerte hierin lediglich Güter und Rechte, die in vorangegangenen Zeiten bereits an das Kloster übergegangen waren. Demzufolge gab es also ältere Originalurkunden, die dem Bischof zur Bestätigung nacheinander unterbreitet wurden. Die Reihenfolge der Gütererwähnungen in der Urkunde von 1121 könnte somit die Abfolge der dem Bischof vorgelegten Schriftstücke widerspiegeln. Von dieser Annahme ausgehend, würden sich auch die geographischen Sprünge zwischen den einzelnen Orten innerhalb des Wimmelburger Verzeichnisses erklären lassen. So beginnt die Urkunde mit der Nennung von Gütern in Wimmelburg (Wimodeburch) bei Eisleben, um darauf Besitzungen in Schotterey (Scirta regia) bei Bad Lauchstädt zu erwähnen. Es folgt die Aufzählung von Rechten in Aseleben (Aslibe), um dann eine Reihe von Orten aus der Region um Eisleben zu nennen. Über Döcklitz (Teklici), Klobikau (Clobicho) und (Ober-) Kriegstedt (Crikstedi) bewegt sich das Wimmelburger Verzeichnis in der Folge in der Gegend um Bad Lauchstädt, ehe sie mit einer Besitzerwähnung in der Wüstung Stockdorf (Stocdorph) wieder den Sprung in die Umgebung nordwestlich von Eisleben vollzieht. Das zum Schluss auch noch Besitzungen in Haldeslebe - womit wohl nur das nordwestlich von Magdeburg gelegene Haldensleben (Ldkr. Börde) gemeint sein kann - genannt werden, ist entweder mit einer Verschreibung des Ortsnamens oder als Streubesitz zu begründen. Grundsätzlich ist festzustellen, dass sich der Wimmelburger Besitz im Wesentlichen auf die Regionen um Eisleben und Bad Lauchstädt konzentriert (Abb. 3).
Die für das Eisdorfer Jubiläum zugrundeliegende Erwähnung von Hisdorph erscheint innerhalb der im Kartenmaterial aus pragmatischen Gründen als „Eisleber Gruppe“ zusammengefassten Konzentration von Gütern in und um die Lutherstadt. Der Abschnitt beginnt mit der nordwestlich von Eisleben gelegenen Wüstung Rossdorf (Rothardesdorph), über Benndorf (Bennendorph) und der Wüstung Kirchendorf (Szarnazandorph) folgen Besitzerwähnungen in Eisleben (maiori Hislebo) und der Wüstung Klein Eisleben (minori Hislebo). Die darauffolgende Nennung von Risdorph wird von der Geschichtswissenschaft unbestritten mit Oberrißdorf (Ortsteil der Lutherstadt Eisleben, Ldkr. Mansfeld-Südharz) identifiziert. Hieran schließt sich das zur Diskussion stehende Hisdorph an. Die Abfolge der zuvor genannten Ortsnamen vermittelt den Eindruck, dass die mittelalterlichen Autoren beim Verfassen der Besitzverzeichnisse einer gewissen Struktur folgten. Naheliegend wäre dabei die Wahl einer geographischen Ordnung der besitzenden Ländereien. Vor diesem Hintergrund bietet die Tatsache, dass sich unweit südlich von Oberrißdorf der Ort Unterrißdorf (ebenfalls Ortsteil der Lutherstadt Eisleben) anschließt, den Ausgangspunkt zu völlig neuen Überlegungen und die Möglichkeit einer gänzlich anderen Namenszuweisung: Könnten sich hinter den Erwähnungen von Risdorph und Hisdorph nicht die beiden heutigen Rißdorf-Orte verbergen? Vielleicht dienten die verschiedenen Anlautformen nur zur Unterscheidung der sonst gleichnamigen und räumlich unmittelbar nebeneinanderliegenden Siedlungen? Ein Schreibfehler oder eine mündlich falsch überlieferte Aussprache des letztgenannten Siedlungsnamens wären ebenfalls nicht auszuschließen, zumal diese Namensform auch in keiner anderen Urkunde belegt ist. Bauliche Zeugen für die Existenz beider Orte bereits im Hochmittelalter sind die jeweiligen Dorfkirchen, die in Teilen auf romanische Vorgänger zurückgehen. Zusätzliche Untermauerung erfährt die Überlegung mit der anschließenden Nennung von Gütern in Helfta (Helpede) in der Wimmelburger Urkunde. Der Eisleber Ortsteil liegt nur wenige Kilometer südwestlich von Unterrißdorf entfernt und fügt sich damit nahtlos in das Bild einer mutmaßlich geographisch orientierten Güteraufzählung. In der Gesamtansicht kristallisiert sich die „Eisleber Gruppe“ als eine von Norden nach Südosten verlaufende Anzahl von Besitzerwähnungen innerhalb des Wimmelburger Verzeichnisses heraus. Es ist davon auszugehen, dass sich hier der Umfang eines zugrundeliegenden Originaldokuments abzeichnet. Eine Identifizierung von Hisdorph mit Eisdorf im Saalekreis würde diesem Gesamtbild widersprechen. In Abwägungen der genannten Argumentation und Überlegungen fällt es daher schwer an dieser Gleichsetzung festzuhalten. Ein Erklärungsversuch als Streubesitz ist zwar nicht gänzlich auszuschließen, erscheint im genannten Kontext aber nicht mehr ausreichend befriedigend.
Angesichts der Tatsache, dass Eisdorf von Orten umgeben ist, die sich auf eine deutlich frühere Erwähnung berufen, stellt sich zudem die Frage, ob eine hochmittelalterliche Urkunde überhaupt den ältesten Namensbeleg für die mittelalterliche Siedlung darstellen würde. Die Orte Bennstedt (Benstet), Köchstedt (Cochstat) sowie die Dorfstätte Osniza, aus welcher Unterteutschenthal hervorgegangen ist, erscheinen allesamt im sog. Hersfelder Zehntverzeichnis. Diese Besitzliste der Reichsabtei Hersfeld bei Fulda (Hessen) gilt als frühester schriftlicher Nachweis für eine Vielzahl von Ortsnamen in Nordthüringen und dem südlichen Sachsen-Anhalt. Bereits die Altforschung brachte hier die Überlegung ins Spiel, ob es sich bei dem darin genannten Risdorpf nicht um einen Schreibfehler für Hisdorpf, also Eisdorf bei Teutschenthal, handeln könnte. Dagegen argumentiert der Heimatforscher Martin Beitz äußerst plausibel ebenfalls mit einer geographischen Abfolge und identifiziert die Risdorpfer Nennung mit der Wüstung Ersdorf bei Lettin. Eisdorf wäre dieser These zufolge also nicht mit Risdorpf gleichzusetzen. Nicht zuletzt auch im Hinblick darauf, dass sich die Eisdorfer Ortslage inmitten einer feuchten Talniederung ausdehnt, ist von der Annahme einer frühmittelalterlichen Ortsgründung eher Abstand zu halten. Vielmehr spricht die Wahl des Siedlungsplatzes für eine hochmittelalterliche Binnenkolonisation, da die günstiger gelegenen Siedelstellen bereits von den umliegenden älteren Dörfern besetzt waren.
Trotz der Zuordnungsschwierigkeiten hinsichtlich der mittelalterlichen Dokumente kann die Existenz Eisdorfs anhand der romanischen Dorfkirche - aufgrund der typischen Architektursprache - spätestens ab dem 12. Jahrhundert attestiert werden. Eine 900-Jahrfeier des Ortes ist daher auch ohne die letzte Sicherheit einer zugrundeliegenden urkundlichen Erwähnung gerechtfertigt.
[1] Eine Hufe ist eine alte deutsche Maßeinheit und umfasste die Fläche, die eine bäuerliche Familie benötigte, um ihre Ernährung sicherzustellen. Die Größe war dabei regional unterschiedlich und schwankte zwischen 7 und 25 Hektar. Die sächsische Hufe, die in unseren Breiten maßgeblich war, hatte eine Größe von 19,922 Hektar.
Mike Leske M.A.
Ich danke Herrn Martin Beitz für den konstruktiven Austausch und die zahlreichen Anregungen.
Literatur und Quellen
- http://www.wimmelburg.de/verzeichnis/visitenkarte.php?mandat=124313 (Zugriff am 28.04.2020)
- Landesarchiv Sachsen-Anhalt, U 11 Grafschaft Mansfeld und Herrschaft bzw. Fürstentum Querfurt, A IX ll Wimmelburg Nr. 1.
- Max Krühne (Bearb.) 1888, Urkundenbuch der Klöster der Grafschaft Mansfeld. Geschichtsquellen der Provinz Sachsen und angrenzender Gebiete; Bd. 20 (Halle 1888).
- Karl Gustav Schmidt (Hrsg.), Urkundenbuch des Hochstifts Halberstadt und seiner Bischöfe. Bd. 1: Bis 1236 (Leipzig 1883).
- Baron von Meden zu Stettin, Beiträge zur Geschichte des Klosters Wimmelburg. In: Neue Mitteilungen aus dem Gebiete historisch-antiquarischer Forschungen, Band 3 (Halle 1837).
- Christian Zschieschang, Das Hersfelder Zehntverzeichnis und die frühmittelalterliche Grenzsituation an der mittleren Saale. Eine namenkundliche Studie (Köln 2017).
Abbildungsnachweis
- Abb. 1: Landesarchiv Sachsen-Anhalt, U 11 Grafschaft Mansfeld und Herrschaft bzw. Fürstentum Querfurt, A IX ll Wimmelburg Nr. 1
- Abb. 2: Landesarchiv Sachsen-Anhalt, U 11 Grafschaft Mansfeld und Herrschaft bzw. Fürstentum Querfurt, A IX ll Wimmelburg Nr. 1 (Detailansicht)
- Abb. 3: Anna Swieder, Halle
- Abb. 4: 2micha, Public domain, via Wikimedia Commons
[1] Eine Hufe ist eine alte deutsche Maßeinheit und umfasste die Fläche, die eine bäuerliche Familie benötigte, um ihre Ernährung sicherzustellen. Die Größe war dabei regional unterschiedlich und schwankte zwischen 7 und 25 Hektar. Die sächsische Hufe, die in unseren Breiten maßgeblich war, hatte eine Größe von 19,922 Hektar.