„Was Bäcker sich von den Fingern schaben, daran sich Fürst und König laben“ – Die Jubiläen der Traditionsbäckereien Boltze und Schäl aus Teutschenthal
„Brot und Salz, Gott erhalt's!" Kaum ein anderer Segensspruch verdeutlicht die Bedeutung von Brot als Grundnahrungsmittel für unseren Kulturkreis mehr als dieser. Verschiedene archäologische Spuren lassen vermuten, dass man bereits in der Altsteinzeit Körner von wild gewachsenem Getreide zwischen Steinen zermahlte und das gewonnene Mehl mit Wasser zu einem Teig vermengte. Über dem Feuer gebackten, entstand so womöglich schon vor etwa 40.000 Jahren ein erstes ungesäuertes Fladenbrot. Damit stellt Brot eines der ältesten kultivierten Nahrungsmittel der Menschheitsgeschichte dar! Spätestens mit der Entdeckung des Sauerteigs formte sich allmählich ein eigener Berufszweig heraus. Im alten Ägypten wurde Brot bereits in größerem Maße in Bäckereien hergestellt. Vom Sauerteig ist übrigens auch der Name Brot vom althochdeutschen "prôt" abzuleiten, was so viel wie "Gegorenes" bedeutet.
Auf dem Gebiet des heutigen Deutschlands ist das Bäckerhandwerk spätestens ab der Zeit Karls des Großen (747/748-814) auch in den Schriftquellen nachweisbar. Im Laufe des Mittelalters errang die Kunst des Brotbackens großes Ansehen und einen hohen Stellenwert für die Gesellschaft. Das erste deutsche Rechtsbuch, der sog. Sachsenspiegel, berichtet, dass die Geldstrafe für die Tötung eines Bäckers dreimal so hoch sein sollte wie die der Totschlag an einem „gewöhnlichen“ Menschen.
Sorgten die Bäckereien über die Jahrhunderte hinweg in den Dörfern und Städten für die Grundversorgung der Bevölkerung mit Backwaren, so hat sich das Bild in unserer Gegenwart verschoben. Discounter, Supermärkte und Großbäckereien können die Waren inzwischen meist günstiger anbieten und haben so vor allem in ländlichen Raum zur Schließung zahlloser Traditionsbetriebe beigetragen. Hinzu treten Nachwuchssorgen und der Fachkräftemangel. Trotz der vielfältigen Probleme ist es umso erfreulicher, dass in der Ortschaft Teutschenthal in diesem Jahr gleich zwei Familien-Bäckereien beachtliche Jubiläen begehen können:
Bereits am 1. April 1888 - also vor über 135 Jahren - wurde der Grundstein der Bäckerei Boltze gelegt. In der Großen Mittelstraße 24 (heute Karl-John-Straße 48), im damals noch eigenständigen Unterteutschenthal, hatte Bäckermeister Karl Herbst an jenem Tag eine eigene Backstube eröffnet. Mit seiner Frau Emilie (geb. Reinhardt) betrieb er das Geschäft 15 Jahre lang. Durch die Heirat seiner Tochter Emmy mit dem Bäckermeister Rudolf Boltze erhielt das Familienunternehmen im Jahr 1903 seinen noch immer gültigen Namen.
Nachdem die Querfurter Straße (heute die Friedrich-Henze-Straße) die Große Mittelstraße als Hauptverkehrsader des Ortes abgelöst hatte, entschloss man sich, die abseitige Lage zu verlassen und das Geschäft an die belebtere neue Durchgangsstraße zu verlagern. Ein ehemaliger Gasthof wurde erworben und zur Bäckerei ausgebaut. Dem Lehmbau aus dem Jahr 1712 blendete man dabei u.a. seine bis heute unverkennbare, markante Fassade aus roten Ziegelsteinen vor (Abb. 1).
Rudolf Boltze jr. war schon 1922 nach Amerika ausgewandert und arbeitete in Chicago als Bäcker. Dank eines Schreibens seiner Mutter konnte er 1930 zur Rückkehr nach Teutschenthal bewogen werden. Die folgenden zwei Jahrzehnte führte Rudolf die Familientradition in der neuen Produktions- und Verkaufsstelle fort, bis er 1949 bei einem tragischen Motorradunfall tödlich verunglückte. Ehefrau Frieda (geb. Schmidt) musste die Bäckerei nun allein weiterführen, bis sie diese an Sohn Eckhard übergeben konnte. Zusammen mit seiner Frau Sigrid (geb. Schmeil) schrieb dieser ab 1958 das bisher längste Kapitel in der Geschichte der Familienbäckerei. Erst 40 Jahre später übernahm Tochter Andrea Beßler 1998 mit ihrem Mann Frank in fünfter Generation die Backstube. Der Bäckermeister kümmert sich seit jeher um die Brotwaren, während die Konditormeisterin sich für die süßen Köstlichkeiten des Hauses verantwortlich zeichnet. So können beide in diesen Tagen auch auf ihr eigenes 25-jähriges Firmenjubiläum zurückblicken. Mit einem mobilen Verkaufsladen vertreibt man die bewährten Brot- und Kuchenspezialitäten inzwischen auf den Märkten der Region (Abb. 2). Ob und wie die Tradition an alter Stelle fortgeführt werden kann, ist momentan noch unsicher. Zwar hat Sohn Philipp ebenfalls das Bäckerhandwerk ergriffen, arbeitet und lebt als Bäckermeister aber inzwischen in Wittenberg.
Im Ortsteil Bahnhof versorgt die Familienbäckerei Schäl seit nun mehr 100 Jahren die hiesige Einwohnerschaft mit Brot und leckeren Kuchenspezialitäten. Vorausgegangen war die Gründung des Kaliwerks „Krügershall“ am verkehrsgünstigen Knotenpunkt zwischen der Eisenbahntrasse Halle-Kassel und der befestigten Straße von Teutschenthal nach Langenbogen. Im Umfeld zu dem 1907 in Betrieb gegangenen Werk war in den folgenden Jahren auch eine kleine Arbeitersiedlung entstanden. Die wachsende Einwohnerzahl und die fehlende Konkurrenz bei der Versorgung der unmittelbaren Bevölkerung sowie der Werksangehörigen versprachen ein stabiles Einkommen. Diese Aussichten lockten Emil Schäl nach Bahnhof-Teutschenthal. Der Plötzkauer gab seinen Landwirtschaftsbetrieb auf und gründete 1923 seine bis heute bestehende Bäckerei an der Straße der Einheit 17 (Abb. 3). Das genau gegenüber dem Hauptzugang zum Kaliwerk gelegene Geschäft betrieb er 22 Jahre lange zusammen mit seiner Frau Anna (geb. Fischer). Über Sohn Werner und dessen Frau Anna (geb. Saalfeld) war die Bäckerei zwischen 1950 und 53 an Günther und Martha Bühring (geb. Kaufmann) übergeben worden. Emil Schäl jr. überführte den Betrieb wieder in Familienhand, bis sein Sohn Martin zusammen mit seiner Frau Jutta Schäl (geb. Schlotte) ab 1956 die Backstube übernahm. 38 Jahre lenkten beide die Geschicke des Familienunternehmens. Seit 1995 leiten Thoralf Schäl und Frau Heike (geb. Rudloff) nun die Bäckerei (Abb. 4). Mittlerweile hat man auch expandiert. Neben einen Verkaufswagen im weiter oben gelegenen Teil von Teutschenthal-Bahnhof sowie einer Filiale in Wansleben am See, vertreibt man die eigenen Erzeugnisse nach Familienrezepten auch über einen mobilen Laden in Halle-Neustadt. Sohn Martin steht inzwischen für die fünfte Generation und strebt aktuell die Meisterprüfung an. Mit seiner Spezialisierung auf Motivtorten hat er sich längst überregional einen Namen gemacht und damit einen neuen Markt erschlossen. Ob Turnschuh, VW-Bulli oder Totenkopf, alle denkbaren Formen und Varianten sind möglich.
Die Gegenwart macht es den kleinen Familienunternehmen nicht leicht. Die gestiegene Preise für Agrarerzeugnisse sowie die durch die Decke geschossenen Energiekosten machen es fast unmöglich der günstigen Konkurrenz Paroli zu bieten. Dank einer treuen Kundschaft ist man zuversichtlich diese schwierigen Zeiten zu meistern und blickt positiv in die Zukunft.
Mike Leske M.A.