Vom Dorf zum Rittergut – die historische Entwicklung des Ortsteils Etzdorf
Der Steudener Ortsteil Etzdorf stellt mit seinen 85 Einwohnern (Stand 31.12.2021) zwar die kleinste Siedlung innerhalb der Einheitsgemeinde Teutschenthal dar, historisch betrachtet, gehört er aber zu den am frühesten schriftlich genannten Orten der Region. Bereits für das ausgehende 9. Jahrhundert ist eine Erwähnung im Hersfelder Zehntverzeichnis überliefert. In dieser Abgabenliste, aus denen das Reichskloster Hersfeld den Kirchenzehnt[1] aus den Siedlungen im heutigen südlichen Sachsen-Anhalt und nördlichen Thüringen erhielt, erscheint Etzdorf erstmalig als Erhardesdorpf. Der Ortsname ist eine Kombination aus dem Personennamen Erhart o. ä., mit dem sich hier womöglich ein sog. Lokator (Siedlungsgründer) zu erkennen gibt. Das Grundwort -dorf offenbart dabei die Herkunft des Lokators und/oder der ersten Bewohner aus dem fränkisch/deutschen Sprachgebiet. Die Siedlungsgründung erfolgte vermutlich im Zusammenhang einer herrschaftlich gesteuerten frühmittelalterlichen Aufsiedlungsphase. In dieser kümmerten sich die Lokatoren im Auftrag der damaligen Landesherren um die Anwerbung von Kolonisten sowie um deren Verteilung auf die seinerzeit dünn besiedelten Gebiete im westlichen Hinterland der mittleren Saale. Das an diesem Siedlungsprozess auch Gruppen aus anderen Kulturkreisen beteiligt waren, belegt die direkte Nachbarschaft zum unweit südlich angrenzenden Steuden. Sowohl dessen Ersterwähnung als Studina als auch die Ergebnisse einer 2008 erfolgten Ausgrabung eines Reihengräberfeldes am westlichen Ortsrand beweisen den slawischen Ursprung des Ortes. Da Steuden ebenfalls am Ende des 9. Jahrhunderts erstmals schriftlich im Hersfelder Zehntverzeichnis genannt wird - somit zeitgleich existierte - ist von einer friedlichen Koexistenz unterschiedlicher Ethnien am Ende des Frühmittelalters in unserer Region auszugehen.
Günstig an der alten Heer- und Handelsstraße zwischen Halle und Thüringen gelegen, war die mittelalterliche Dorfgemeinschaft Etzdorfs offenbar potent genug, um einen eigenen Kirchenbau errichten zu können. Zumindest wird ein solcher 1191 in einer Urkunde für die Probstei Seeburg genannt. Obendrein ordnet ein älteres Dokument den Ort als Erdesdorpf dem Erzpriestersitz Röblingen im Ostbanne des Bistums Halberstadt zu. Bei einer weiteren Erwähnung bestätigte Kaiser Lothar 1136 dem Kloster Kaltenborn 11 Hufe[2] in Erhadesdorp.
Da auch andere Orte in Mitteldeutschland auf den Namen Etzdorf lauten - zum Beispiel Etzdorf, Ortsteil der Gemeinde Heideland im Saale-Holzland-Kreis in Thüringen oder Etzdorf, Ortsteil der Gemeinde Striegistal im Landkreis Mittelsachsen in Sachsen - ist unsicher, ob eine Familie von Etzdorf hier im Saalekreis ihren Ausgang hat. Deren prominentestes Mitglied, Volrad v. Etzdorf, war 1511 Domherr zu Naumburg und Dechant[3] zu Zeitz.
Die Nennung als Natzdorf (Nazdorff) in einem Gerichtsvertrag des Bistums Merseburg mit den Grafen zu Mansfeld aus dem Jahr 1452 ist mit großer Wahrscheinlichkeit mit Etzdorf identisch und zugleich die letzte schriftliche Überlieferung zur mittelalterlichen Siedlung. Scheinbar war der Ort kurz darauf wüst gefallen. Das Auflassen der Siedlung wäre so mit der spätmittelalterlichen Wüstungsphase im 14./15. Jahrhundert in Verbindung zu bringen. Bedingt durch Epidemien und klimatische Veränderungen in Kombination mit Missernten und Hungersnöten war in dieser Periode die Bevölkerungszahl regional drastisch zurückgegangen. Die überwiegende Zahl an Wüstungen im mitteldeutschen Raum ist auf diese Umstände zurückzuführen. Im Gegensatz zu anderen wüst gefallenen Siedlungen, deren Ortslagen im Laufe der Jahrhunderte überpflügt wurden, entstand auf der ehemaligen Dorfstelle innerhalb weniger Jahrzehnte ein herrschaftlicher Wirtschaftshof. Von der mittelalterlichen Siedlung sind heute weder bauliche noch archäologische Spuren bekannt.
Das Vorwerk[4] Etzdorf war in den folgenden Jahrhunderten wechselweise im Besitz verschiedener adliger Familien. Nach einem Rechtsstreit mit Jacob von der Schulenburg 1568 erhielt die hessische Familie von der Malsburg das Anwesen.
Die älteste bildliche Darstellung des Etzdorfer (Etzdorff) Wirtschaftshofs findet sich auf einer Grenz- und Straßenkarte zur Klärung von Geleitsfragen und Zuständigkeiten aus dem Jahr 1571. Die darauf abgebildeten Baulichkeiten überraschen durch die vom Zeichner wiedergegebenen Dimensionen, die ein stattliches Renaissanceschlosses mit Wirtschaftsgebäuden wiedergeben (Abb. 1). Das Schloss bestand demnach aus zwei steinernen Geschossen, einem Fachwerkgeschoss mit rotem Ziegeldach samt Zwerchhaus nach Süden, einem runden Treppenturm am Ostgiebel sowie einem Latrinenerker im Südosten. Zwei Inventarbeschreibungen von 1669 und 1679 bestätigen die Darstellung weitgehend. Auch eine skizzenhafte Abbildung in der zwischen 1614 und 1634 entstandenen Ersten Kursächsischen Landesaufnahme bekräftigen die vorangegangene Veranschaulichung (Abb. 2). Zudem wird das Gut hier als „Haus vnd Forwergk […] Aytzdorff“ benannt.
Im Dreißigjährigen Krieg wurde das Rittergut schwer verwüstet, als bei Etzdorf im August 1639 eine Schwadron finnländischer Reiter aus Querfurt kommend auf sächsische Truppen stieß. Die im Auftrag der Schweden kämpfenden Söldner verschanzten sich daraufhin hinter den Mauern des Vorwerks. Die Sachsen erstürmten das Gut indem sie es „an Unterschiedlichen orten angestecket, und dermaßen in die asche geleget, das auch nicht das geringste davon stehen blieben“. Das zerstörte Anwesen war darauf noch einige Zeit im Besitz derer von Malsburg bis es 1679 ins Eigentum der Grafen von Mansfeld wechselte, unter denen es wieder aufgebaut wurde. 1695 durch Blitzschlag erneut beschädigt, erwarb acht Jahre später die Familie von der Schulenburg das Vorwerk zurück, und 1732 schließlich der preußische König Friedrich Wilhelm I. Seit 1763 war Etzdorf der Sitz des Unteramtes Schraplau. In den Händen der Hohenzollern verblieb es, bis 1871 der Amtmann Albert Schröder das Gut übernahm.
Eine vor 1854 entstandene zeitgenössische Ansicht aus dem Vorlagenbuch der Tellersammlung Kerßenbrock illustriert, dass die renaissancezeitlichen architektonischen Dimensionen der Gutsgebäude nach dem Wiederaufbau einer deutlich schlichteren Zweckmäßigkeit gewichen waren (Abb. 3).
Außerhalb des Rittergutes entstanden in den 1830er Jahren einige kleine Wohnhäuser für Arbeiter des nahegelegenen Stedtener Schachtes. Zudem waren dort auch Unterkünfte für die Erntehelfer des Gutes errichtet worden. Durch eine Eingemeindung im Jahr 1928 wurde Etzdorf dem benachbarten Steuden angegliedert und gehört zusammen mit diesem seit dem 1. Januar 2010 zur Einheitsgemeinde Teutschenthal.
Das heutige Rittergut stellt sich als offene, rechteckige Hofanlage dar, die durch verschiedene Bauten und Scheunen - vorwiegend aus dem späten 19. / frühen 20. Jahrhundert - umschlossen ist (Abb. 4). Westlich des Guts fügt sich ein Park mit Teich (derzeit trockengefallen) und Grotte an. Das Herrenhaus wurde 1906 als Familiensitz von Albert Schröder und dessen Sohn Clemens erbaut (Abb. 5). Es gilt mit seinen Täfelungen, Treppen und Stuckdecken als besonders geglückte architektonische Schöpfung des Jugendstils.
Von den Vorgängerbauten ist noch ein im rechten Winkel anliegendes barockes Gutshaus aus dem Jahr 1747 erhalten. Ab 1934 im Besitz von Max Schröder entging der Wirtschaftshof nach dem Zweiten Weltkrieg sowie im Zuge der Bodenreform seiner Aufteilung und wurde zum Universitätsgut, später zum Volkseigenen Gut (VEG). Die Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg nutzte den Hof bis Anfang der 1990er-Jahre zu Forschungszwecken. 1995 konnte Herko Hayessen - ein Neffe von Dr. Max Schröder-Etzdorf - den Betrieb wieder in Familienhand zurückführen. Neben der landwirtschaftlichen Nutzung dient das Anwesen heute als Ferienunterkunft, Filmlocation sowie für Hochzeiten und diverse andere Veranstaltungen.
Die verschiedenen Events auf dem Gutshof sind inzwischen weit über die Ortsgrenzen hinaus bekannt und bereichern das hiesige Kulturangebot der Einheitsgemeinde Teutschenthal.
[1] Eine Steuer in Form von Geld oder Naturalien an eine geistliche Institution.
[2] Eine Hufe umfasste die Fläche, die eine bäuerliche Familie benötigte, um ihre Ernährung sicherzustellen. Die Größe war dabei regional unterschiedlich und schwankte zwischen 7 und 25 Hektar. Die sächsische Hufe, die in unseren Breiten maßgeblich war, hatte eine Größe von 19,922 Hektar.
[3] Vorsteher eines Kirchenbezirks
[4] Ältere Bezeichnung für einen landwirtschaftlichen Gutshof
Mike Leske M.A.
Literatur:
- Festkomitee „1075 Jahre Teutschenthal“ (Hrsg.), Teutschenthal - Die verbotene Chronik. Originalabschrift vom Jahre 1979 (Teutschenthal 2004).
- Sabine Meinel und Birthe Rüdiger: Denkmalverzeichnis Sachsen-Anhalt, Band 5, Saalkreis (Halle 1997).
- Erich Neuß, Wanderungen durch die Grafschaft Mansfeld. Im Seegau. 2. Aufl. (Halle 1999).
- Reinhard Schmitt, Zwischen dem Ziegelrodaer Forst und Halle (Saale) –Eine Grenz- und Straßenkarte von 1571. In: WegBegleiter, Interdisziplinäre Beiträge zur
- Altwege- und Burgenforschung: Festschrift für Bernd W. Bahn zu seinem 80. Geburtstag (Langenweissbach 2019), S. 213–232.
- Bruno Sobotka, Burgen, Schlösser, Gutshäuser in Sachsen-Anhalt (Stuttgart 1994).
- Matthias Öder und Balthasar Zimmermann (Öder-Zimmermann): Gegend um Halle (Saale) und Merseburg, um 1614–1634: SHStAD, 12884 Karten und Risse, Schrank R, Fach 1, Nr. XIII (Makro 686)
- Tellersammlung Kerßenbrock, Vorlagenbuch, Stadtverwaltung Lutherstadt Eisleben
- Christian Zschieschang, Das Hersfelder Zehntverzeichnis und die frühmittelalterliche Grenzsituation an der mittleren Saale. Eine namenkundliche Studie (Köln 2017).
Internet:
- https://www.rittergut-etzdorf.de/ (Zugriff am 26.02.2023)