Gemeinde Teutschenthal

Eine rätselhafte Steinplatte in der Wand der Asendorfer St.-Nikolaus-Kirche

In der Einheitsgemeinde Teutschenthal gibt es viel zu entdecken! Die zahlreichen Anfragen, die mich in unregelmäßiger Folge erreichen, zeigen mir, dass auch Sie sich immer wieder selber auf Entdeckungstour begeben und ich den Wissensdurst an der Geschichte vor der eigenen Haustür mit meinen Beiträgen noch lange nicht stillen konnte. Zuletzt wandte sich Hans-Georg Lorenz mit einer interessanten Beobachtung an mich: An der St.-Nikolaus-Kirche in Asendorf hatte der Teutschenthaler eine Sandsteinplatte mit rätselhafter Darstellung entdeckt (Abb. 1).

Das in Frage stehende Bildwerk ist in der nördlichen Außenwand des Kirchenschiffs nahe der Nahtstelle zum Turm zu finden (Abb. 2). Bildprogramm und Größe sprechen für das obere Stück einer zerbrochenen, ursprünglich als Grababdeckung verwendeten, Steinplatte. Auf dem etwa 59 x 68 cm messenden Fragment ist ein Radkranz eingearbeitet, welcher ein Kreuz mit eingebuchteten Armen umschließt. Ein noch zu erkennender Ansatz am unteren Ende dieses sog. Scheibenkreuzes (auch Rad- oder Vortragekreuz) deutet eine Verlängerung in Form eines Schafts an. Dieser wird links von einem weiteren Gegenstand flankiert. Womöglich zeichnet sich hier ein Schwertknauf ab. Diese Vermutung wird durch ein kleines Querstück gestützt, welches sich kurz vor der Bruchkante der Steinplatte abzeichnet und als Parierstange interpretiert werden kann. Ob das Scheibenkreuz im nicht mehr erhaltenen unteren Teil der Grabplatte auf dem stilisierten Berg Golgata endete, wie es der Archäologe und Kunsthistoriker Dr. Dirk Höhne vermutet oder in einer vereinfachten Darstellung einer Erdscheibe oder Himmelssphäre fußte, muss offenbleiben. Vergleiche mit ähnlichen Bildnissen lassen alle Varianten zu und machen eine Datierung in das 12./13. Jahrhundert wahrscheinlich. Rückschlüsse aus dem Bildprogramm auf den ursprünglich Bestatteten sind nur bedingt möglich. Reliefierte Grabplatten kennzeichneten im Hochmittelalter in der Regel die Begräbnisstätten höhergestellter Personen. Insbesondere im ländlichen Raum waren solche Steinmetzarbeiten der Grundherrschaft vorbehalten, was die Zuweisung des Toten in den niederen Adelsstand plausibel macht. Da das Baumaterial für das Kirchenschiff auch aus dem Abbruch eines anderen Sakralbaus stammen kann und das Fragment „nur“ als Werkstein im Bau Verwendung fand, ist der Herrschaftssitz nicht zwangsläufig auf Asendorf einzugrenzen. Ebenso unsicher ist die Deutung der Kombination aus Radkreuz und dem mutmaßlichen Schwert. Das Arrangement könnte den Verstorbenen als „Verteidiger des Glaubens“ ausweisen. Vielleicht ein Teilnehmer an einem der Kreuzzüge?

Dass die Reliefplatte in Zweitverwendung in der Kirchenwand verbaut wurde, ist unstrittig. Warum die Spolie (wiederverwendetes Bauteil) in den Mauerverbund gelangt ist, entzieht sich jedoch unseren Kenntnissen. Die Tatsache, dass sie entgegen ihrer ursprünglichen Ausrichtung auf der linken Seite liegend eingebaut wurde, könnte eine Art Bannritus zur Abwehr böser Geister widerspiegeln. Ein ähnliches Phänomen können wir an der Südwand gleich neben dem Eingang der Zscherbener Cyriakuskirche mit dem sog. Reiterstein beobachten.

Mit den Abmaßen von 1,79 x 0,52 m ist ein weiterer Werkstein in der Nordwand als ehemalige Grabplatte anzusprechen. Wenn auch gänzlich unverziert dient dieser heute in sekundärer Nutzung als Eckquader in der Nordostecke des Kirchensaals (Abb. 2 und 3).

Der Westturm der St.-Nikolaus-Kirche ist der älteste Teil des Sakralbaus und entstammt aus der Mitte des 13. Jahrhunderts. Unsicher ist die zeitliche Einordnung des angrenzenden Kirchensaals mit seinem eingezogenen längsrechteckigen Chor. Ende des 19. Jahrhunderts ging man noch von einer kompletten Neuerrichtung der beiden Raumteile im Jahr 1869 aus. Neueste Forschungen legen dagegen eine Entstehung im Zuge einer zweiten Bauphase im dritten Drittel des 13. bzw. beginnenden 14. Jahrhunderts nahe. Infolge zahlreicher jüngerer Überformungen am Bau ist diese Einschätzung jedoch nicht gänzlich frei von Zweifeln.

 

Gern versuche ich auch Ihre Fragen zur Heimatgeschichte zu beantworten. Schreiben Sie mir an meine E-Mailadresse mike-leske@web.de.

 

Mike Leske

 

Literatur:

  • Dr. Adolf Brinkmann und Prof. Dr. Hermann Größler, Beschreibende Darstellung der älteren Bau- und Kunstdenkmäler des Mansfelder Seekreises (Halle 1895), S. 23-25.
  • Dirk Höhne, Die romanischen Dorfkirchen des Saalkreises. Eine baugeschichtliche Untersuchung (Halle 2015), S. 165-174.
  • Gustav Winckler, Das Thingkreuz an der Kirche zu Asendorf. In: Mein Mansfeld. Ein Heimatbuch für das Mansfelder Land, Die Steinkreuze im Mansfelder Lande, S.73 (Eisleben 1936).
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Abb. 1: Das Fragment einer romanischen Grabplatte mit einem reliefierten Scheibenkreuz in der Nordwand der Asendorfer St.-Nikolaus-Kirche (um 90 Grad nach links gedreht). Foto: H.-G. Lorenz, 2023
Abb. 2 Ansicht der Nordseite der Asendorfer Kirche mit den Positionen des Scheibenkreuzes (1) und einer weiteren Grabplatte (2). Foto M. Leske, 2023
Abb. 2: Ansicht der Nordseite der Asendorfer Kirche mit den Positionen des Scheibenkreuzes (1) und einer weiteren Grabplatte (2). Foto: M. Leske, 2023
Abb. 3 Eine weitere Grabplatte in sekundärer Nutzung als Eckquader in der Nordostecke des Kirchensaals. Foto M. Leske, 2023