Gemeinde Teutschenthal

Das Eisdorfer Wappen und wie aus einem Raben ein Eisvogel wurde

In seiner modernen Fassung zeigt das Eisdorfer Ortswappen einen buntgefiederten Vogel im Geäst eines kargen Baumes (Abb. 1). Diese Darstellung leitet sich von einer seit Generationen verbreiteten Deutung des Tieres als Eisvogel ab. So ist es nicht weiter verwunderlich, dass ein solcher seit jüngster Zeit am nördlichen Ortseingang auf einer farbenfrohen Tafel Einwohner, Besucher und Durchreisende begrüßt. Bei einem Malwettbewerb tauften die Kinder der Einheitsgemeinde den Eisdorfer Eisvogel erst kürzlich auf den Namen „Elsa“. Doch wie hielt dieses Tier überhaupt Einzug in das Ortswappen? Seit über 100 Jahren wird diese Frage unter Heimatforschern kontrovers diskutiert. Im Gegensatz zur heutigen Version kennen wir ältere Gemeindesiegel aus Eisdorf nur in Form von Stempelabdrücken, bei denen sich die farblose Abbildung mit Baum und Vogel auf einem einfachen Rundschild mit der Umschrift „Gemeinde Eisdorf“ beschränkt (Abb. 2). Der Historiker Hermann Größler schloss bereits 1880 eine Deutung als Eisvogel aus und zweifelte sogar das Vorkommen dieses Tieres in unseren Breiten an. Aktuelle Beobachtungen beweisen allerdings, dass der Eisvogel auch in den hiesigen Gefilden heimisch ist.
Ernst v. Trotha gelangte im Zuge der Erforschung seiner eigenen Familiengeschichte zu der Einschätzung, dass das Eisdorfer Amtszeichen ein sehr junges Siegelbild sei und hielt dessen Entstehung in Anlehnung an eine neuzeitliche volksmündliche Auslegung des Ortsnamens für wahrscheinlich. Hermann Größler sah dagegen im Gesamtbild Hinweise und Bezugspunkte zur Ortsgeschichte und bezeichnete das Wappen daher als ein „halb redendes Siegel“. Tatsächlich lassen sich hinsichtlich der mittelalterlichen Herrschaftsverhältnisse historische Bezüge aus dem Ortswappen ableiten: Die Edlen von Rebeningen (auch Revenungen oder Reveningen), ein Ministerialgeschlecht, dessen Stammburg sich in Röblingen am See (Mansfeld-Südharz) befand, dienten den Magdeburger Erzbischöfen als Verwalter und verfügten über weitreichende Besitzungen sowie Hoheitsrechte in Eisdorf. Daneben besaßen auch die Herren von Trotha Güter im Ort. Beide Adelsfamilien führten einen schwarzen Vogel in ihren jeweiligen Stammzeichen, was wiederum von einigen Historikern als Indiz gewertet wird, den Ursprung des jüngeren Geschlechts derer von Trotha in der älteren Familie von Rebeningen zu vermuten. Womöglich hatte sich ein Zweig abgesprengt, als im 11. Jahrhundert ein Nachkomme der Edlen von Rebeningen mit der Burg in Trotha belehnt wurde und sich dieser von da an nach dem neuen Herrschaftssitz benannte. Hermann Größler deutete das Wappentier als Raben und führte diese Ansicht auf dem Ortsnamen Rebeningen (=Röblingen) zurück. Nach seiner Auffassung basiere dieser auf dem altdeutschen Personennamen Hraban (=Rabe) und bedeute daher „zu den Nachkommen des Raben“. Das vermutlich älteste Siegel der Edlen von Trotha datiert in den Übergang vom 13. in das 14. Jahrhunderts und zeigt – im Gegensatz zu jüngeren Darstellungen - den abgebildeten schwarzen Vogel noch ohne Ring im Schnabel (Abb. 3).
Je nach Kultur und Zeitgeist ist der Rabe in der Mythologie und Symbolik unterschiedlich konnotiert.
In der Antike wurde er oft negativ gedeutet und erschien zumeist im Zusammenhang mit Untreue, Verrat oder ganz allgemein als Unglücksvogel. In der nordischen Vorstellungswelt dagegen dienten gleich zwei Raben dem Gott Wodan bzw. Odin als Weggefährten und brachten ihm regelmäßig Kunde, weshalb dieser den Beinamen „Rabengott“ trug (Abb. 4). Von Noah aus der Arche entsandt, um Land zu suchen, begegnet uns der Rabe auch in der Bibel. Gleichzeit wurde ihm im frühen Christentum vorgeworfen, Noah nicht vor der Sintflut gewarnt zu haben. Da er sich von Aas ernährt und angeblich seine Jungen vernachlässigt („Rabeneltern“), verklärte man ihn zum „Unglücksraben“, der Krankheit verbreitet sowie Krieg und Tod ankündigt. Trotz dieser negativen Assoziationen fand der Rabe in der mittelalterlichen Heraldik weite Verbreitung als Wappentier. Da hier meist ungeklärt ist, welche Tugenden der schwarze Vogel veranschaulicht, bleibt auch der Hintergrund für dessen Verkörperung in den Familienwappen derer von Rebeningen und von Trotha offen. Unsicherheit besteht zudem, ob bei der Deutung nicht auch eine Verwechslung mit der ähnlich gestalteten Elster vorliegt. Unberührt von dieser Frage scheint der Vogel im Eisdorfer Gemeindesiegel aber tatsächlich eine bewusste Anlehnung an das Familienwappen derer von Rebeningen darzustellen. Der abgebildete Baum wiederum veranschaulicht eine Dorfeiche oder -linde, dessen blattlose Darstellung womöglich ein hohes Alter andeuten soll. Solche Bäume markierten in der Regel das Zentrum oder wichtige Versammlungsplätze einer Siedlung und stehen in der Wappenkunde zumeist für die Bauernschaft. In diesem Sinn ist auch das Eisdorfer Gemeindesiegel zu interpretieren: Das überproportionale Wappentier der Grundherren thront auf dem altehrwürdigen Symbol der untergebenen Dorfgemeinschaft und betont damit die mittelalterlichen Besitzverhältnisse sowie die Obrigkeit derer von Rebeningen. Das heutige Verständnis des Eisdorfer Wappentieres als Eisvogel ist eine neuzeitliche Fehlinterpretation und auf eine nicht belegbare volksetymologische (naive) Auslegung des Ortsnamens bezüglich seines Bestimmungswortes „Eis“ zurückzuführen. Dieses wiederum ist nicht auf gefrorenes Wasser bezogen und auch kein Hinweis auf besonders kühle Witterungsverhältnisse. Vielmehr leitet sich dieser Namensteil vom Personennamen „Isi“ oder „Iso“ ab und ist als Hinweis auf einen mittelalterlichen Dorfgründer bzw. Lokator zu verstehen.
Die Hintergründe zum Eisdorfer Gemeindesiegel verleihen diesem eine ganz individuelle Note, die zur Festigung der Heimatverbundenheit sowie zur Identitätssteigerung beiträgt.
Der Eisvogel als Wappentier ist im Übrigen gar nicht so ungewöhnlich, wie er auf dem ersten Blick erscheint. Gemeinden wie Geltorf (Kreis Schleswig-Flensburg in Schleswig-Holstein), Seedorf (Kreis Herzogtum Lauenburg in Schleswig-Holstein) oder Horní Řasnice (ehemals Bernsdorf/Bärnsdorf an der Tafelfichte in Tschechien) tragen dieses buntgefiederte Tier ebenfalls in ihren Hoheitszeichen. Die Herleitungen sind dabei allerdings stets vielschichtig und sehr unterschiedlich.
 
Eine umfassende Auseinandersetzung mit diesem und weiteren Themen der Eisdorfer Geschichte finden Sie in der voraussichtlich zur Festwoche erscheinenden Ortschronik.
 
Mike Leske M.A.
 
Literatur und Quellen:

  • Dr. Adolf Brinkmann und Prof. Dr. Hermann Grössler, Beschreibende Darstellung der älteren Bau- und Kunstdenkmäler des Mansfelder Seekreises (Halle 1895).
  • Hermann Größler, Siegel- und Münzkunde. Über die Siegel der Ortschaften des Mansfelder Seekreises. In: Zeitschrift des Harzvereins für Geschichte und Alterthumskunde. Band 13 (Wernigerode 1880), S. 265–289.
  • Michaela Helmbrecht, Wirkmächtige Kommunikationsmedien. Menschenbilder der Vendel- und Wikingerzeit und ihre Kontexte (Lund 2011).
  • Knaurs Lexikon der Symbole (1998)
  • Matthias j. Maurer, private Webseite, Trotha – der Adel (24.08.2009) https://mjmaurer.de/tag/rebeningen/ (Zugriff am 11.09.2020).
  • Ernst von Trotha, Die v. Rebeningen und v. Trotha. Die Wahrscheinlichkeit ihrer Stammeseinheit sowie das Verhältnis der ersteren zu den Edelherren gleichen Namens (Oldenburg 1933).
  • Thilo von Trotha, Vorstudien zur Geschichte des Geschlechts von Trotha (Neuwied 1860).
  • Christian Zschieschang, Das Hersfelder Zehntverzeichnis und die frühmittelalterliche Grenzsituation an der mittleren Saale. Eine namenkundliche Studie (Köln 2017).
Abb. 1 Wappen Eisdorf heute klein
Abb. 1: Das Eisdorfer Ortswappen in seiner modernen Fassung seit 2004
Abb. 2 Das Eisdorfer Gemeindesiegel in einem Stempelabdruck um 1900.
Abb. 2: Das Eisdorfer Gemeindesiegel in einem Stempelabdruck um 1900
Abb. 3 Ältestes Wappen derer von Trotha klein
Abb. 3: Das vermutlich älteste Siegel derer von Trotha um 1300. Abbildung aus v. Trotha 1860, S. 23
Abb. 4 Kriegsgott Odin Wodan auf seinem Pferd Sleipnir klein
Abb. 4: Dargestellt ist wohl der Toten- und Kriegsgott Odin/Wodan auf seinem Pferd Sleipnir („der Dahingleitende“) in Begleitung seiner Raben Hugin („Gedanke, Sinn“) und Munin („Erinnerung“). Pressblechbild von einem Helm. Vendel, Uppland (Schweden; Grab 1); 6./7. Jh. Abbildung aus Helmbrecht 2011, S. 78