Gemeinde Teutschenthal

„Als unsere Dörfer Namen bekamen“ - Das Hersfelder Zehntverzeichnis und seine Bedeutung für die Ortschaften der Einheitsgemeinde Teutschenthal

Der mitteldeutsche Raum zählt zu den ältesten besiedelten Gebieten Europas. Bereits in der Altsteinzeit suchten Menschengruppen saisonal die Gefilde unserer Breiten auf, um hier Großsäugetiere wie Mammut, Wollnashorn oder Riesenhirsch zu bejagen. Aufgrund ihrer nomadischen Lebensweise ist hier aber noch nicht von einer dauerhaften Besiedlung zu sprechen. Dies änderte sich mit dem Beginn der Jungsteinzeit (ab ca. 5500 v. Chr.). und dem damit verbundenen Übergang zu Sesshaftigkeit, Ackerbau und Viehzucht. Diese Umstellung führte zum Anlegen dauerhafter Siedlungen, womit jedoch nicht automatisch eine Siedlungskontinuität an Ort und Stelle zu verstehen ist: Im Laufe der Jahrtausende wurden die Wohnplätze im Zuge u.a. von Bevölkerungsschwankungen und Klimaveränderungen sowie aufgrund sich ständig wandelten Standortfaktoren immer wieder aufgegeben und neugegründet. Ob und wie die frühen Dörfer von ihren Bewohnern bezeichnet wurden, bleibt infolge fehlender Schriftlichkeit wohl für immer im Dunkel der Geschichte. Es ist jedoch naheliegend, dass zur Orientierung und Identifikation der Einwohner mit ihrer Umgebung schon erste einfache Ortsbezeichnungen verbreitet waren. Eine Notwendigkeit für die Entstehung von Siedlungsnamen ergab sich spätestens mit der Landesaufteilung und der daraus resultierenden eindeutigen Zuordnung von Siedlungen und Ländereien zu einem Grundbesitzer. So überrascht es nicht, dass es sich bei den frühesten schriftlichen Dokumenten für die mitteldeutsche Region in der Regel um Besitzaufzählungen oder -bestätigungen handelt. Da die Ersterwähnungen die Existenz der genannten Orte bereits vor Erstellung der Verzeichnisse voraussetzen, ist davon auszugehen, dass die Siedlungen in der Regel wesentlich älter sind, als es die frühen Urkunden belegen können.

Obwohl sich die hiesigen Ortsnamen in ihrer Struktur ähneln, fällt deren Variantenreichtum auf. Die Zusammensetzung mit beginnendem Bestimmungswort, dem sich ein Grundwort anschließt, tritt am häufigsten in Erscheinung. Bestimmungswörter können Personennamen (oft ein Siedlungsgründer/Lokator) oder geographische, geologische, naturräumlich sowie wirtschaftliche Gegebenheiten widerspiegeln. Die gebräuchlichsten Grundwörter in unseren Breiten wie -dorf, -stedt und -leben finden sich zumeist im germanisch/deutschen Sprachraum. Daneben tritt in der Region auch die Kombination aus Bestimmungswort und Suffix (Endung oder Nachsilbe) in nicht geringem Maße in Erscheinung. Die seltener auftretende Endung -ingen kennzeichnet wohl die ältesten Ortsnamen in der Region und ist dem germanischen Kulturkreis zugeordnet. Orte mit den Suffix -au, -itz und -witz sind dagegen jünger und zumeist slawischen Ursprungs. So können die heute geläufigen Ortsnamen anhand ihrer Endungen einen groben Siedlungsursprung hinsichtlich ihrer „Urbevölkerung“ andeuten, was Mischformen – zum Beispiel slawischer Personenname mit deutschem Grundwort - jedoch nicht ausschließt.

Die Überlieferung der ältesten Ortsnamenvarianten ist untrennbar mit dem Aufkommen der ersten schriftlichen Zeugnisse verbunden! Erst mit diesem Medium treten die Orte unserer Gegend aus der Anonymität der Geschichte und bekommen Namen zugewiesen. Das Schreibwesen tritt im Mitteldeutschen Raum vergleichsweise erst spät am Ende des Frühmittelalters auf und ist uns aus dieser Anfangszeit quantitativ auch nur sehr spärlich überliefert. Das sog. Hersfelder Zehntverzeichnis gilt als eines der frühesten schriftlichen Nachweise für eine Vielzahl von Ortsnamen in Nordthüringen und dem südlichen Sachsen-Anhalt (Abb. 1). Die Besitzliste der Reichsabtei Hersfeld bei Fulda (Hessen) umreißt ein Gebiet zwischen Saale, Unstrut und Helme sowie der Salza, dem Süßen See und dem Unterharz. Die Quelle ist eine Zusammenfassung von vier Ortslisten, welche traditionell in die Teile A bis D unterschieden werden. Jedoch waren nur die aufgeführten Siedlungen im Teil A dem Kloster Hersfeld zur Abgabe des zehnten Teils vom Ertrag der Ernte verpflichtet. Abschnitt B listet die Burgen im Zehntgebiet auf. Teil C benennt Ortschaften, die der Abtei durch den Kaiser entzogen wurden, D solche, die Herzog Otto (der Erlauchte, um 830/40 - 912) unterstanden.

Die regionalen Ortsnamen erscheinen in dem als Friesenfeld benannten Teil A. Dieser beinhaltet mit seinen insgesamt 239 Örtlichkeitsbezeichnungen die mit Abstand meisten Nennungen. Geordnet in acht nebeneinanderstehende Spalten listet der Abschnitt die Namen jeweils in untereinanderstehende Zehnergruppen auf.

Das erhaltene Dokument befindet sich heute im hessischen Staatsarchiv in Marburg. Die allgemeine Forschungsmeinung geht anhand sprachlicher Aspekte davon aus, dass es sich um eine der Systematik des Originals folgenden Abschrift aus dem 11. Jahrhundert handelt. Obwohl die Kopie erst im Hochmittelalter entstand, übernahm sie demnach die Schriftsprache des ausgehenden Frühmittelalters. Infolge von Veränderungen der Sprache und der Verschleifung von Worten unterschieden sich die Ersterwähnungen teilweise deutlich von den heute geläufigen Ortsnamen. So ist es nicht immer leicht, die aufgeführten „Urformen“ mit den bestehenden Siedlungen zu identifizieren.

Auf dem Gebiet der Einheitsgemeinde Teutschenthal als gesichert identifiziert gelten die Namen der Orte Asendorf (Asendorpf), Dornstedt (Dornstat), Steuden (Studina), Etzdorf (Erhardesdorpf) und Köchstedt (Cochstat). Für Holleben (H[un]enleba) wird sowohl eine Siedlung als auch eine Burg genannt, was die hohe Bedeutung dieses Ortes im Mittelalter unterstreicht. Mehrfach erscheinen im Herzfelder Zehnverzeichnis die Namen Osniza (2-mal), aus welchem Unterteutschenthal hervorgegangen ist und Dussina (5-mal), das den Kern des späteren Oberteutschenthals bildete. Über Dusne (1136), Deußen/Deußenthal (1363), Deutzsch Tall (1571) und Deutsche Thal (1689) bildete sich schließlich der Ortsname Teutschenthal. Die Erklärungsversuche für die an verschiedenen Stellen im Hersfelder Zehntverzeichnis erscheinenden Mehrfachnennungen sind vielfältig. Am plausibelsten erscheint die Herleitung, dass sich dahinter kleinere, dem Verfasser vielleicht namentlich nicht bekannte Ortsteile der Hauptsiedlungen verbergen könnten. Da die Ortschaft Teutschenthal ihren Ursprung aus dem Zusammenwachsen von mindestens 7 mittelalterlichen Siedlungen verdankt, ließe sich dieser Umstand gut mit der Begründung vereinbaren.

 

Nicht alle Bezeichnungen im Hersfelder Zehntverzeichnis können eindeutig identifiziert werden. Verschiedene Namen sind entweder nicht richtig lesbar oder nicht zweifelsfrei bestehenden bzw. wüst gefallenen Dörfern zuzuweisen. Diese Ortsnamen stehen in der Fachwelt immer wieder im Blickpunkt verschiedener Betrachtungen und unterliegen dabei unterschiedlichen Zuschreibungen. So wurde die Ortschaft Angersdorf lange Zeit mit der Erwähnung Donichendorpf gleichgesetzt. Heute wird mit dieser Nennung vielmehr ein Zusammenhang mit dem Flurnamen Tönicken auf dem Gebiet des Ortsteils Teutschenthal-Bahnhof favorisiert. Ebenso unsicher ist, ob die Flurbezeichnung „Hähmische Höhen“ für eine Gemarkung nordwestlich von Köchstedt mit der Erwähnung von [H?]ezemendorpf identisch ist. Die Gleichsetzung von Risdorpf mit Eisdorf wurde von der Altforschung mit einem Schreib- oder Lesefehlers im Zuge der Abschrift für Hisdorpf erklärt. Aus geographischen Gesichtspunkten scheint es inzwischen weitaus plausibler dahinter die Wüstung Ersdorf zwischen Lettin und Kröllwitz zu vermuten. Auch das im Zehnverzeichnis genannte Codimesdorpf dass von verschiedenen Forschern mit Gottsdorf, einem der mittelalterlichen Teutschenthaler Ursprungssiedlung identifiziert wurde, ist heute – nicht zuletzt aufgrund seiner Position im Verzeichnis – wohl eher mit einer Wüstung (abgegangene/verlassene mittelalterliche Siedlung) bei Merseburg gleichzusetzen.

 

Die Tatsache, dass nicht alle Orte der Einheitsgemeinde im Hersfelder Zehntverzeichnis erscheinen, muss deren zeitgleiche Existenz nicht grundsätzlich ausschließen. Ebenso möglich wäre, dass diese Orte bisher nicht unter den verzeichneten Namen identifiziert wurden oder schlicht weg dem Kloster Hersfeld nicht abgabenpflichtig waren. Unabhängig davon wurde eine Reihe von Dörfern in unseren Breiten erst in späteren Siedlungsphasen gegründet. Dies wiederum führt zur Frage nach dem Entstehungszeitraums der Abgabenliste der Reichsabtei Hersfeld:

Dem Mittelalterforscher Edward Schröder zufolge, sind die Teile A und C zwischen 830 und 850 niedergeschrieben worden, während B und D dem letzten Drittel des 9. Jahrhunderts angehören. Jeder Teil stammt nach seiner Ansicht von einem anderen Verfasser. Die Zusammenstellung des Gesamtverzeichnisses wird für die Jahre zwischen 881 und 887 oder 896 und 899 angenommen. Für die Datierung von Teil A plädierte der Mittelalterforscher Edward Schröder mit einer historisch belegten Gegebenheit auf das Jahr 845. In diesem wurde ein Konflikt zwischen dem Erzbistum Mainz und dem Kloster Hersfeld um die Zehnterhebung beigelegt. Der Namenkundler Christian Zschieschang übernahm diese zeitliche Verortung vorrangig aus praktikableren Beweggründen; nicht zuletzt aber auch um an Schröders Überlegungen zu erinnern, die seiner Meinung nach zu wenig Beachtung fanden. Um die Besitzansprüche der Abtei Hersfeld gegenüber Mainz dauerhaft zu belegen und festzuhalten, erscheint es durchaus nachvollziehbar, die Initiative für eine Auflistung aller dem Kloster abgabenpflichtigen Orte auf dieses Ereignis zurückzuführen.

Einen völlig neuen Datierungsansatz zum Hersfelder Zehntverzeichnis formulierte vor wenigen Jahren der Historiker Christian Warnke in einem Beitrag mit dem Titel „Grafen, Burgen und Kapellen – Forschungsgeschichtliche Interpretationen zum Friesenfeld und Hassegau“. Die Geschichtswissenschaften identifizierten den im Abschnitt D genannten „duci Otdonis“ bisher weitgehend mit Otto dem Erlauchten (830/40-912). In seiner Funktion als Laienabt des Reichsklosters war dieser wohl in den Besitz hersfeldischer Güter gelangt. Warnke stellt die geläufige Darstellung des erhaltenen Hersfelder Dokuments als Abschrift in Frage und geht stattdessen von einer Originalurkunde aus. Da das Schriftstück übereinstimmend in die Mitte des 11. Jahrhundert datiert wird, kann nach Warnke die in Rede stehende Nennung auch mit Otto I. von Weimar-Orlamünde (gest. 1067) verbunden werden. Dieser soll laut dem Geschichtsschreiber Lampert von Hersfeld einer der Auslöser der thüringischen Zehntstreitigkeiten gewesen sein, denen zuvor im Jahr 1059 ein Zusammenstoß der Abtei Hersfeld mit dem Halberstädter Bischof Burchard vorausging. Diese Auseinandersetzung machte nach Warnke eine Aufstellung des Hersfelder Zehntbesitzes notwendig. Nach dieser These wären alle bisher auf diese Quelle bezogenen Ortsjubiläen um ca. 200 Jahre jünger!

Nicht zuletzt, da die Urkunde des 11. Jahrhunderts die gebräuchliche Namensschreibung des 9. Jahrhunderts wiedergibt, ist diese Auffassung jedoch stark umstritten. Ein neuer Ansatz für die weitere Forschung könnte die stärke Einbindung aktueller archäologischer Grabungsergebnisse liefern. Eventuell ließen sich dadurch Datierungsansätze stärker untermauern oder gar widerlegen.

 

Mike Leske

 

Literatur

  • Edward Schröder, Urkundenstudien eines Germanisten. In: Mittheilungen des Instituts für Oesterreichische Geschichtsforschung 18 (1897), S. 1-52.
  • Christian Warnke, Grafen, Burgen und Kapellen – Forschungsgeschichtliche Interpretationen zum Friesenfeld und Hassegau. In: WegBegleiter, Interdisziplinäre Beiträge zur Altwege- und Burgenforschung: Festschrift für Bernd W. Bahn zu seinem 80. Geburtstag (Langenweissbach 2019), S. 269-282.
  • Siegmund Wolf, Beiträge zur Erläuterung des Hersfelder Zehntverzeichnisses. In: Jahrbuch der Hessischen Kirchengeschichtlichen Vereinigung 7 (1956), S. 1-35.
  • Siegmund Wolf, Ergänzungen und Berichtigungen zur Ortsnamenbestimmung des Hersfelder Zehntverzeichnisses. In: Beiträge zur Namenforschung 7 (1956), S. 16-21.
  • Siegmund Wolf, Beiträge zur Auswertung des Hersfelder Zehntverzeichnisses. In: Rudolf Fischer (Hrsg.), Leipziger Studien. Theodor Frings zum 70. Geburtstag, Deutsch-Slawische Forschungen zur Namenkunde und Siedlungsgeschichte5 (Halle/Saale 1957), S. 192-233.
  • Christian Zschieschang, Das Hersfelder Zehntverzeichnis und die frühmittelalterliche Grenzsituation an der mittleren Saale. Eine namenkundliche Studie (Köln 2017).
Abb. 1 Das Hersfelder Zehntverzeichnis im hessischen Staatsarchiv Marburg verkleinert